Ländliche Truhe

Truhen dienten der Aufbewahrung wertvollen Hausrats, häufig Textilien, zum Beispiel die „Aussteuer“ , zumeist Bettwäsche und Tischtücher, welche  Ehefrauen als Kapital in die Ehe einbrachten. Häufig finden wir Truhen  in der Formensprache des Barock wie hier: Üppiger plastischer Dekor wurde in Eisenblech geschmiedet und getrieben, dann auf den Truhenkörper genagelt, der hier in wertvollem Eichenholz gearbeitet ist.. Wir sehen Trauben als biblisches Fruchtbarkeitsymbol, Füllhörner und Lorbeer aus der griechischen Mythologie sowie üppige Akanthusranken. Aufwendig gearbeitete Schlösser galten als wichtiges kunsthandwerkliches Detail dieser Möbel und dienten durchaus neben dem Verschluss des Möbels auch der Selbstdarstellung der Besitzer.

Zuweilen wurde die Truhe zu einem besonderen Anlass gefertigt, Taufe, Hochzeit, Erblass oder Ähnliches. Dann wurden Initialen der Besitzer und Herstellungsjahr eingearbeitet. So auch hier, wo eine damit verbundene wunderschöne Winzigkeit erst durch die Restaurierung wieder „entdeckt“ wurde:

Dieses Detail  war vor unserer Bearbeitung noch unter dicken dunkelbraunen Schmutzschichten verborgen. Zwei kleine Bereiche der Blechdekoration waren  je mit einem kleinen Samtstück in leuchtendem Rot hinterlegt worden.  Dadurch wurde der Blick der Betrachter auf  zwei markanten  Positionen der Truhenfront gelenkt, die quasi aus Füllhörnern quellen: Die Initialen „HGC“ links und die Jahreszahl „1819“ rechts vom Schloß. Denn sie waren aus dem geschmiedetem, ursprünglich noch bläulich-dunkel abgesetztem Blech als Umrisse ausgeschnitten, womit dieser Blickfang  mit dem kontrastierenden, leuchtend roten Hintergrund auf unser Auge fast schon wie Pop Art wirkt. Was heutzutage kaum mehr vorstellbar ist:  Die Umwelt war sehr vieI farbärmer als heute. Leuchtende Farben,  wie wir sie selbstverständlich von Stoffen, Alltagsgegenständen, Leuchtreklamen und  Medien kennen, waren vor 200 Jahren seltene Raritäten.  So erklärt sich das offensichtliche Bemühen, auch noch kleinste Reste dieses sündhaft teuren Materials  zu erhalten:  an beiden Stoffstückchen waren sogar Risse sorgfältig geflickt bzw. vernäht  worden. Man darf damit davon aussgehen, dass es sich um die damals weit verbreitete  „Zweitverwendung“ eines wertvollen herrschaftlichen oder sakralen Gegenstands handelt. Ein doppelter Fingerzeig: einerseits typisch für die hohe Wertschätzung jener Epochen für feine Textilien andererseits ein Dokument für die  breite Kultur des Erhaltens und Wiederverwendens, heute modisch Nachhaltigkeit genannt. Es ging schlicht um Sparsamkeit in einer vorindustriellen Ökonomie.

Neben vielen anderen Arbeiten, die hier nicht ausgeführt werden, konnte dies nach Demontage und durch die vorsichtige Abnahme der dicken Schmutzkrusten  wieder erlebbar gemacht werden. Allerdings nur teilweise, denn der volle Rotton hat sich  nur noch auf der Rückseite des Stoffs erhalten. Die Farbigkeit der Vorderseite ist – auch unter der Schmutzschicht – durch den UV-Anteil des Tageslichts zu einem  bräunlich gebrochenen Altrosa verblasst.

Das Möbel ist gemäß Datierung „1819“ erst in der Biedermeierzeit entstanden. Die Formensprache des Barock (1640 – 1770) gilt in jener Zeit als längst überholt und ist völlig aus der Mode, nur auf dem Lande verharrt man noch in tradierten Mustern. Deshalb steht dieses Möbel in sehr sprechender Weise für die Kulturgeschichte des bäuerlichen Lebensraums am Vorabend der Industrialisierung.

Es ist das erste Stück, das wir für das Museum Eberswalde restauriert haben, wo es jetzt in der Dauerausstellung steht. Es war im Sommer 2017, Anlaß war die  Sonderausstellung „Evangelisch in Eberswalde“ zum 500-jährigen Jubiläum der protestantischen Reformation.

Offen bleibt: Wird irgendwann irgendjemand die Initialen entschlüsseln?